«Eine weit verbreitete Vorstellungen ist, dass Menschen, denen geholfen wird, faul werden und dazu ermutigt werden, das System auszunutzen. Alle Programme zur Unterstützung der Ärmsten, ob in reichen Staaten oder in Schwellenländern, beruhen auf dieser Überzeugung und haben daher eine strafende Dimension. Unsere Erfahrung zeigt jedoch, dass das Gegenteil der Fall ist: Je mehr wir den Menschen helfen, desto mehr sind sie in der Lage, aus eigener Kraft neu anzufangen, desto mehr sind sie in der Lage, sich aus der Armutsfalle zu befreien.» Esther Duflo, Wirtschafts-Nobelpreisträgerin 2019.
Die Armutsthematik wurde in der Schweiz in den vergangenen Monaten aufgrund der verheerenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie verstärkt sichtbar. In vielen Kantonen standen die Menschen Schlange für Lebensmittel. Auch das Thema Obdachlosigkeit tauchte wieder vermehrt auf. In diesem Zusammenhang ist unsere Gesellschaft gefordert: Wirken die Massnahmen zur Armutsbekämpfung? Müssen wir unseren Ansatz überdenken und neue Ideen wagen?
In Freiburg nimmt der Verein Equip'Apparts, den wir seit 2016 begleiten dürfen, eine Vorreiterrolle im Bereich der Obdachlosigkeit von suchtkranken Menschen ein. Um sie zu unterstützen, entwickelte der vom Netzwerk der Freiburger Einrichtungen für Suchtkranke (NFES) gegründete Verein ein innovatives Angebot: Er erleichtert den Personen den Zugang zu einer Wohnung, ohne Auflagen zum Konsum von psychotropen Substanzen. Einmal im eigenen Zuhause, werden die Personen bei der Verbesserung ihrer Gesamtsituation begleitet. Dabei wird auf das Selbstvertrauen, die sozio-professionelle Eingliederung, die Bedürfnisse und Gewohnheiten der Personen fokussiert. In der Folge lernen die meisten der unterstützten Personen, ihren Konsum von psychoaktiven Substanzen besser zu steuern oder sogar zu reduzieren.
Equip'Apparts ergänzt das bestehende Angebot im Kanton, indem es ein neues Paradigma in der Sozial- und Gesundheitslandschaft vorschlägt, in der Abstinenz oder Konsumreduktion bisher als Bedingung für Unterstützung gelten. Equip'Apparts nimmt stattdessen das Wohnen als Voraussetzung. Die Verankerung dieses neuen Ansatzes verlief nicht ohne Schwierigkeiten. Deshalb wurden unsere Dienste in Anspruch genommen.
Zunächst machten wir eine Analyse des Angebots von Equip'Apparts, durchgeführt von einem Spezialisten des Modells «Housing First», für verschiedene Zielgruppen verständlich und zugänglich. Die Herausforderung bestand darin, insbesondere die Partner des Freiburger Sozial- und Gesundheitsnetzwerks und die sich mit sozialen Fragen befassenden politischen Entscheidungsträger zu erreichen, um ihnen die aus diesem Paradigmenwechsel resultierenden Tatsachen aufzuzeigen. Anschliessend begleiteten wir Equip'Apparts bei der Medienarbeit, um den Bekanntheitsgrad des Angebots auf regionaler Ebene zu steigern.
Ziel dieses Vorgehens ist es, dass die Partnerinstitutionen das Angebot von Equip'Apparts im Kanton Freiburg weiterführen. Es muss anerkannt werden, insbesondere von den betroffenen Behörden. Ein gutes Stück Arbeit wurde bereits gemacht.